Wenn er die Kugel hat, dann läuten in jeder Abwehr die Alarmglocken. Roger Pfyl, 22 Jahre jung, letzte Saison noch auf dem Weg zum Profi beim FC St. Gallen, ist eine Klasse besser als die meisten Kicker der 2. Liga interregional. So auch in diesem besonderen Spiel gegen den FC Muri.
Das «Mutschälle Fäscht» findet nebendran statt. Das Riesenrad wirft den Schatten aufs Spielfeld. Die 1000 Zuschauer sorgen für eine tolle Stimmung. Und für die Musik sorgt Pfyl. Nach knapp einer Stunde hebelt er die Muri-Abwehr aus, trifft zum 1:0. Es ist der goldene Treffer. Er dreht ab, jubelt mit den Fans und dem Team. «Pure Freude», hat er dann verspürt. Dieser technisch starke und physisch präsente Roger Pfyl hätte schon zuvor einige Halbchancen gehabt, um eine Kiste zu machen. Doch er gibt den Ball meist uneigennützig ab. Dazu sagt er: «Ich weiss, ich sollte mehr alleine machen, aber es ist nicht so meine Art.»
Hofer: «Wir hatten die schlechtere Einstellung»
Es ist ein Spiel der vielen Halbchancen. In der ersten Halbzeit dominiert Mutschellen. Der FC Muri scheint nicht bereit zu sein für dieses Derby. Dazu zwei Beispiele: Muri-Goalie Yannik Hofer haut unter Bedrängnis den Ball weg, trifft den heranstürmenden Vincenzo Merendino. Der Ball segelt knapp an der Kiste vorbei. Oder Abwehrboss Simone Parente, sonst ein souveräner Verteidiger, zeigt sich im Zweikampf nachlässig. Merendino klaut sich den Ball und im Strafraum ergibt sich eine strittige Szene. Beide Male hat Muri Glück.
Muri-Goalie Hofer, gleichzeitig Sportchef, versucht die Leistung in Worte zu fassen. «Fussballerisch war es eher bescheiden. Wir wussten genau, was auf uns zukommt, haben aber trotzdem keine Lösungen gefunden, um Torchancen zu kreieren. Dass am Ende der einzig richtig gefährliche Spieler der Mutscheller die Partie entscheidet, ist der definitive Beweis, dass wir die schlechtere Einstellung hatten als Mutschellen.»
«Ein Spiel auf Augenhöhe»
Matchwinner Roger Pfyl lobt die Defensivarbeit. «Die defensive Stabilität hat uns ausgezeichnet. Wir haben kaum Torchancen zugelassen.» Der FC Muri versucht in der zweiten Halbzeit, Druck aufzubauen, wird aber kaum gefährlich. Fehlpässe, Flanken hinters Tor, Ungenauigkeiten. Auf der anderen Seite hat auch der FC Mutschellen keine richtig gute Torchance, um den Sack zuzumachen. War der FC Mutschellen besser als Muri? Pfyl antwortet: «Das würde ich so nicht sagen. Es war ein Spiel auf Augenhöhe mit dem besseren Ende für uns.»
In der Schlussphase powert Muri weiter. Aber die Offensivabteilung um Noaim Bayazi, Diego Zoller, Miguel Ferreira und Ajdin Bajric ist schlaff an diesem Samstagnachmittag. Irgendwie will es nicht klappen. Die Mutscheller verteidigen mit Herz. Die Murianer greifen nur halbherzig an. So bleibt es beim (verdienten) 1:0-Erfolg des FC Mutschellen.
(K)ein Bruder-Duell
FC-Muri-Spielerpräsident Michael Stadelmann sagt: «Es ist blöd gelaufen. Wir haben nach vier guten Spielen jetzt eher eine mittelmässige Leistung gezeigt. Es fehlten uns die Mittel und die Durchschlagskraft, um die Mutscheller Abwehr zu knacken.» Doppelt bitter für ihn: Er verliert das Bruder-Duell gegen Nico Stadelmann. Zu einem Zweikampf der beiden ist es nie gekommen. Michael spielt aussen, Nico im Zentrum. «Schade», sagt der beinharte Aussenverteidiger des FC Muri, «ich hätte ihm auf den Feld den Tarif durchgegeben.» Diese Einstellung von Michael Stadelmann hatten nur wenige Murianer an diesem Tag. Und so gewinnt das Team, das mehr kämpft und mehr Willen zeigt. «Wir wollten ihnen die Party nicht versauen», meint Stadelmann augenzwinkernd und betont, dass im Rückspiel die Punkte auf der Brühl bleiben werden.
Es war ein faires Derby vor toller Kulisse. Für Mutschellen bleibt die Erkenntnis, «dass wir es draufhaben», wie Pfyl erklärt. Nach Spielschluss wird am «Mutschälle Fäscht» ordentlich gefeiert. So, wie es sich für einen Derbysieg gehört. Mit dabei war (zu Beginn) auch der faire Verlierer aus Muri. «Ja, es gab eine Party-Nacht», bestätigt Pfyl.
Er selbst hört es aber nicht gerne, dass er der Mann des Spiels war. Dies sei Gianluca Sforza gewesen. «Mehr Zweikämpfe als er kann man nicht gewinnen», meint Pfyl. Neben Sforza zeigt auch der andere Innenverteidiger, Stefan Furrer, eine sagenhafte Vorstellung. Am Ende trifft Roger Pfyl aber auch in der Spielanalyse ins Schwarze: «Das ganze Team war schuldig, dass wir gewonnen haben.»
«Ich hätte den reingemacht»
Reaktionen der beiden Trainer Piu und Sergio Colacino
Zwei Freunde, ein Derby – und am Ende jubelt nur einer: FC-Mutschellen-Trainer Sergio Colacino ist nach dem 1:0-Sieg stolz auf sein Team. Muri-Trainer Piu ist dagegen enttäuscht. «Nicht vom ganzen Team, aber von ein paar Spielern.»
Ganz selten sieht man den lebensfrohen Freiamt-Brasilianer Piu traurig. Wenige Minuten nach dem Schlusspfiff ist ein solcher Moment. Der 44-jährige Wohler kann für einmal nicht lachen. «Wir waren nicht konsequent, haben nur halbe Sachen gemacht. Wir verlieren die Zweikämpfe, ballern die Flanken hinters Tor, sind viel zu ungenau. In der zweiten Halbzeit haben wir eigentlich keine Torchance mehr. Ich bin enttäuscht», so der Trainer der Murianer. Der FC Muri, der in den ersten vier Spielen drei Siege und ein Unentschieden holt, kassiert auf der Burkertsmatt die erste Saisonpleite.
Sinnbildlich für die Pleite nennt Piu ein Beispiel aus der Schlussphase. Kurz vor dem Abpiff eröffnet sich Muri-Stürmer Noaim Bayazi eine Chance auf den Ausgleich. Wenige Meter vor dem Tor kommt er frei zum Kopfball. «Der muss rein», sagt Piu. Aber es war – wie so vieles im Spiel der Klosterdörfler – einfach zu halbherzig. Piu kann dann doch noch lächeln und meint: «Zu meiner Aktivzeit hätte ich den reingemacht.» Er sei «enttäuscht von gewissen Spielern, die ihre Leistung nicht gebracht haben».
Colacino: «Wir müssen immer über uns hinauswachsen»
Im Vorfeld hatte Piu gesagt, dass «ein Derby Flügel verleiht». Doch dies trifft nur auf den FC Mutschellen zu. «Sie haben stark verteidigt und ein Tor mehr gemacht, also hat Mutschellen diesen Sieg verdient», so Piu, der seinem guten Freund Sergio Colacino auf die Schulter klopft. Der FC-Mutschellen-Trainer gibt das Kompliment weiter an das Team: «Wir haben uns in den Kopf gesetzt, dass wir defensiv leiden müssen und dem FC Muri keine Chancen zugestehen dürfen. Wir standen sehr kompakt und waren nahe beim Mann. Wir wollten kein Tor kassieren, das ist uns gelungen. Weil wir vorne einen gemacht haben, gewinnen wir.»
Ein Bier gibt es trotzdem
Colacino betont, dass der Aufwand für diese drei Punkte riesig gewesen ist. «Wir müssen gegen jedes Team in dieser Liga über uns hinauswachsen und enorm viel leisten. Immer. In jedem Spiel. Heute ging dies auf und wir haben gewonnen», so der 43-jährige Lehrer aus Wohlen.
Der Aufsteiger Mutschellen bezwingt die Liga-erfahrenen Murianer – und das am «Mutschälle Fäscht». Mit dem zweiten Saisonsieg feiert es sich fürs Heimteam einiges besser. Piu adelt sein Ex-Team und sagt: «Von allen Gegnern, die wir bislang hatten, war nur Zofingen besser als Mutschellen.» Gemeinsam gehen Colacino und Piu dann Richtung Festgelände. Piu kann wieder lachen. «Wir haben ein Spiel verloren. Das Leben geht weiter. Es gibt trotzdem ein Bier.»
Der Freiämter – Stefan Sprenger