«Noch nie so was Geiles erlebt»

In der Nachspielzeit rutscht jedem Murianer Fussballfan das Herz in die Hose. FC-Dietikon-Joker Mamadou Sylla köpfelt den Ball an den Pfosten. Wäre der Ball reingegangen, wäre es der ultimative Partykiller gewesen. Doch wenige Minuten später ist Schluss. Der FC Muri spielt 2:2 und darf die Aufstiegskorken knallen lassen. Es ist ein Spiel, das jedes Fussballerherz höherschlagen lässt. Spielerpräsident Michael Stadelmann erlebt in seiner letzten Partie der Karriere nochmals einen Höhepunkt. «900 Zuschauer. Viele Emotionen. Schöne Tore. Ein riesiger Fight. Ein Platzverweis. Und am Ende grenzenloser Jubel. Ich habe noch nie so etwas Geiles erlebt», sagt der 33-Jährige. Stadelmann hat eine Hauptrolle in diesem Drama. Auch Trainer Piu wird nach dem Schlusspfiff in die Höhe geworfen und bricht in Tränen aus. «Ich nehme mir jetzt ein Stück Rasen nach Hause», sagt der Wohler. Hintergrund: Bald beginnen im Stadion Brühl die Arbeiten am neuen Kunstrasen. Mitten in den Aufstiegsfeierlichkeiten erhält der FC Muri allerdings eine Hiobsbotschaft.

Ein Meisterwerk von Michael Hohl. Zwei Riesenböcke von Goalie Yanick Hofer. Ein Pfostenschuss in der Nachspielzeit. Die Finalissima zwischen Muri und Dietikon hatte alles, was das Fussballherz begehrt. Am Ende genügt Muri in diesem Drama-Final ein 2:2, um unter die Bierdusche zu gehen – und nach zehn Jahren die Rückkehr in die 1. Liga classic zu feiern.

Ein Fussball-Gedicht. Ein Traumtor. Und das in diesem alles entscheidenden Spiel. Michael Hohl beweist nach elf Minuten, wieso er in diesem Team der Boss ist. Von der Mittellinie sieht er, dass Dietikon-Goalie Alpay Inaner etwas weit vor seinem Kasten steht. Mit Mut, mit Überzeugung und mit Selbstvertrauen drückt er ab. Die 900 Zuschauer in der Brühl raunen und staunen. Der Ball ist mehrere Sekunden in der Luft und landet tatsächlich im Tor. 2:1. Hohl wird unter einer roten Spielerwelle begraben.

«Beide Tore sind meine Fehler»

Gespielt sind da erst elf Minuten. Und auf der Spielerbank explodieren die Emotionen. «Wenn du noch einmal rüberjubelst, dann knallt es», schreit der Staff des FC Dietikon rüber zum feiernden Heimteam. Bereits früh ist diese Partie hektisch. 6. Minute: Nach einem Eckball für Muri trifft Noaim Bayazi per Kopf. Der Dietikon-Goalie sieht dabei schlecht aus. 1:0. Alles im Lot für Muri. Zwei Minuten später leistet sich aber auch Muri-Goalie Yanick Hofer einen folgenschweren Bock. Er kann die Kugel nicht festhalten. Marvin Hezel staubt ab. 1:1. Als dann Captain Hohl von der Mittellinie trifft, wird die Stimmung immer aufgeladener. Man spürt: Es ist ein Spiel, in dem es um alles oder nichts geht.

Und vermutlich ist es dieser Fakt, der Yanick Hofer erzittern lässt. Der Sportchef, der routinierte Goalie, ihm unterläuft ein zweiter, riesiger Fehler. Ein Freistoss scheint die sichere Beute von Hofer zu werden. «Ach nein. So ein schlechter Freistoss», spricht Dietikon-Trainer Dani Tarone vor sich hin. Doch Hofer wird von der Sonne geblendet und greift daneben. 26. Minute. Bondoy Itoko trifft zum 2:2. Es sollte eigentlich als Eigentor von Hofer gewertet werden. «Beide Tore sind meine Fehler», sagt der Muri-Goalie. «Beim zweiten Tor sah ich den Ball nicht mehr und wusste nicht genau, wo ich stehe.»

Hofer sind wohl kilotonnenschwere Steine vom Herzen gefallen, als der Schiedsrichter nach sieben Minuten Nachspielzeit endlich abpfeift. Und in jener Nachspielzeit gibt es eine Szene, die allen Murianern das Herz in die Hose rutschen liess. Dietikon-Joker Sylla setzt einen Kopfball an den Pfosten. Für einen Moment steht die Fussballzeit still in der Brühl. Doch es reicht. Wenig später ist Schluss. 2:2. Jubel. Aufstieg. Erleichterung. «Einfach nur Glück und Freude. All der Druck ist weg», sagt Hofer.

Es wird gefeiert. Captain Hohl setzt sich den Topskorer-Helm auf. Mit Bier in der Hand strahlt er beim Interview. «Alles egal. Alles geil. Alles erreicht, was wir wollten. Wir sind aufgestiegen. Diese Jungs. Dieser Trainer. Dieses Team. Dieser Verein. Alles einfach geil.» Das Team feiert mit den Fans und dem Anhang im Stadion. Club-Koryphäe Hans Hübscher geniesst seine Wurst und meint: «Das haben sie sich so was von verdient.» Auch Urgestein Hans Huwiler geht glücklich nach Hause. Und natürlich ganz viele Menschen, die mit dem Verein verbunden sind. Bis in die frühen Morgenstunden wird gefeiert – die After-Party gibts im «Wave».

«Ich werde Muri verlassen»

In den Aufstiegsjubel mischen sich neben der Freude auch andere Emotionen. Als Trainer Piu der Mannschaft per Megafon einheizt, sagt er am Ende: «Für Bruno.» Und alle Spieler sind nachdenklich. Hintergrund: Im Januar ist Muri-Spieler Bruno Justino Soares im Alter von 28 Jahren verstorben. Dieser tragische Vorfall hat die Mannschaft zusammengeschweisst. Spielerpräsident Michael Stadelmann erklärt: «Nach dem Tod von Bruno im Januar ist diese Leistung noch höher einzustufen. Wir hatten Mühe, das zu verkraften. Es gab Tränen und schwierige Momente. Aber wir haben uns zurückgekämpft. Wir haben jedes Training und jedes Spiel für Bruno gemacht. Und jetzt sind wir oben.» Dieser Aufstieg wird Bruno Justino Soares gewidmet.

Zurück zum Fussball: Wie geht es jetzt weiter? «Wir werden in den nächsten Tagen die Gespräche mit den Spielern führen», sagt Yanick Hofer, Sportchef der Klosterdörfler. Eine Transfer-Hiobsbotschaft erreicht den FC Muri mitten in den Aufstiegsfeierlichkeiten. Michael Hohl, der feine Techniker, der Kämpfer, der Captain, der Topskorer, jener Spieler, der auch in der Finalissima gegen Dietikon der beste Kicker auf dem Platz war, geht. «Ich werde den FC Muri verlassen. Wohin, ist noch unklar», sagt Hohl. Für Muri ein herber Verlust. Doch dies spielt aktuell eine untergeordnete Rolle, denn die Aufstiegsfreuden überwiegen.

Der Freiämter – Stefan Sprenger

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