Ein ausgeglichener Italiener, ein emotionaler Brasilianer. Beide haben in Wohlen ihre neue Heimat gefunden – und sich selbst. Piu und Sergio Colacino sind seit Jahren gute Freunde. «Er ist immer für mich da», sagt Colacino. Piu wirft zurück: «Und du auch für mich.» Es ist fast ein wenig schnulzig, wie die beiden miteinander reden. Es ist eine kleine Lovestory, die sie verbindet.
«Geile Zeiten» beim FC Wohlen
Die erste Begegnung war im Jahr 1996. Ein 20-jähriger Brasilianer verlässt seine Heimat und heuert beim FC Baden an. Fabricio Nogueira Nascimento (Spitzname Piu) kann kein Wort Deutsch. Beim FC Baden spielt damals auch Sergio Colacino. «Wir hatten nicht viel miteinander zu tun. Die Liebe kam erst später», sagt Piu und muss laut lachen. Colacino kichert mit und erzählt von der zweiten gemeinsamen Zeit. Von 2003 bis 2005 spielen beide beim FC Wohlen. Er erzählt, dass sie bei den Carfahrten an die Auswärtsspiele immer zuhinterst gesessen haben, bei der Heimfahrt gab es ein Bierchen und jeweils Abstecher und Party-Abende in der Zanzibar. «Die ersten Schmetterlinge kamen auf», meint Piu. Wieder lachen beide und meinen: «Das waren geile Zeiten beim FCW.» Und auch sportlich erfolgreich, denn der FC Wohlen spielt phasenweise ganz vorne mit. Das Band ihrer Freundschaft wird stärker.
In dieser Zeit lernen sich auch die Spielerfrauen kennen. Daniela Colacino und Joyce Nascimento verstehen sich blendend.
Freundschaft wächst im «roten Ferrari»
Beide wechseln den Verein. Piu geht zu Baden und dann zu Kriens. Colacino geht zu Bellinzona und dann ebenfalls zu Kriens. Dort treffen sie sich 2008 wieder. Colacino, der in Fislisbach aufgewachsen ist, und Piu, der in der brasilianischen Stadt Pereira Barreto gross wurde, haben beide ihre neue Heimat gefunden: Sie wohnen in Wohlen. Piu arbeitet bei der Robert Huber AG in der Autoaufbereitung, Colacino als Lehrer im Junkholz (dort arbeiten beide auch heute noch).
Die Zeit in Kriens lässt ihr Freundschaftsband noch dicker werden. Mit einem «roten Ferrari», wie Piu es nennt, sind sie immer gemeinsam ins Training gefahren. Wieder lachen beide. Colacino meint: «Das war ein abgelotterter, roter Mazda.» Auf den gemeinsamen Fahrten reden sie viel, lernen sich in- und auswendig kennen. Sie feiern gemeinsam ihre Geburtstage. Piu ist zu Gast bei Colacinos Hochzeit in Italien. Colacino besucht die Heimat von Piu in Brasilien. Sie sind endgültig Freunde. Oder wie Piu es sagt (bevor beide wieder loslachen): «Es war tatsächlich Liebe.»
Gemeinsam beim FC Mutschellen
Am Samstag wird diese Freundschaft für 90 Minuten zur Seite gelegt. Der FC Muri mit Trainer Piu trifft auf den FC Mutschellen und Trainer Colacino. Für beide «ein besonderes Spiel», denn man tritt sehr selten gegen einen so guten Kumpel an. «Ich werde versuchen, ihn auszutricksen», stichelt der 44-Jährige, der gerne als Freiamt-Brasilianer bezeichnet wird. «Wir werden auf der Hut sein», meint der 43-jährige Italiener Colacino. «Weil Piu uns so gut kennt, werden sie uns leider nicht unterschätzen.»
Am längeren Hebel ist ganz klar Piu. Und das aus guten Gründen. Erstens ist der FC Muri stark in die Saison gestartet. Drei Siege, ein Unentschieden. Der Coach der Klosterdörfler meint: «Wir sind noch nicht da, wo ich mit dem Team hinwill. Spielerisch sieht es gut aus, aber im Kopf muss noch einiges passieren. Wir haben noch Arbeit vor uns. Ein Zahnrad ist noch nicht richtig geschmiert.» Trotzdem: Die spielerischen Vorteile sind klar beim FC Muri.
Piu boxt ihn aus dem Kickboxen zurück zum Fussball
Der zweite (grosse) Vorteil für Piu: Er kennt den FC Mutschellen gut. 2014 wird er Trainer auf der Burkertsmatt in der 3. Liga. Als Assistent Toni Di Santo 2015 geht, sucht Piu einen Nachfolger. Für ihn gibt es sofort nur einen Namen, der infrage kommt: Sergio Colacino. Doch dieser ist gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Nach dem Karriereende 2013 (beim FC Muri) versucht sich der Sekundarschullehrer mit Kickboxen. Beim Weltmeister Rocco Cipriano in Wohlen trainiert er zwei Jahre. «Und es hat riesig Spass gemacht», erzählt Colacino. Als die Anfrage von Piu kommt, lässt er sich Zeit. Über eine Woche denkt er nach. «Ich wusste, dass ich das Kickboxen aufgeben muss, wenn ich wieder ins Fussballkarussell einsteige.» Er tut es schliesslich doch. «Natürlich auch wegen Piu.» Er weiss, dass diese Kombination funktionieren wird. 2017 steigt Mutschellen in die 2. Liga auf. Die beiden Freunde sind der Baustein des Burkertsmatt-Erfolgs.
Piu wechselt dann zum FC Wohlen. Wird Assistent in der Challenge League. «Das war eine riesige Möglichkeit», sagt er heute. Auch, um das A-Diplom zu machen. Dabei spielt sein Freund Colacino eine wichtige Rolle. «Ich habe dieses Diplom nur dank der Hilfe von Sergio geschafft. Die Arbeit am Computer, die Schreiberei, das hätte ich mit meinen Deutschkenntnissen nicht geschafft. Seine Hilfe war Gold wert.»
Muri Favorit, Mutschellen muss Gras fressen
Als Piu geht, übernimmt Colacino den FC Mutschellen. Der Sieg im Aargauer Cup 2019 und der Aufstieg in die 2. Liga interregional vor wenigen Monaten sind selbstredend für seine starke Arbeit. Doch jetzt muss der Aufsteiger Gras fressen. Drei Niederlagen, ein Sieg, so die mässige Startbilanz. Der Übungsleiter bleibt cool: «Das war zu erwarten und gehört zum Lernprozess. Das Team muss noch intensiver trainieren und die Physis verbessern.» Piu mischt sich ein: «Ganz ehrlich, Mutschellen kann in dieser Liga mithalten. Aber es braucht eben Zeit. Sie steigen nicht ab.»
Colacino, der zum Ausklingen seiner Karriere beim FC Muri spielte, dankt diese Worte mit einem Lächeln und schmiert seinerseits auch den Murianern Honig ums Maul. «Ich schätze den FC Muri in den Top3 ein. Das Team hat alles, was es braucht, um vorne mitzuspielen. Und natürlich auch einen hervorragenden Trainer.»
«Der Bessere soll gewinnen»
Der FC Muri ist der Favorit, der Aufsteiger FC Mutschellen der Aussenseiter. Aber Derbys haben ihre eigenen Gesetze. Wer holt die drei Punkte? «Der Bessere soll gewinnen», meinen beide. Es ist aber klar, dass anschliessend beim «Mutschälle Fäscht» niemand als Verlierer herumlaufen will. Einigen sich die beiden Trainer auf ein harmonisches Unentschieden? «Es wird nicht gemischelt», sagt Piu lachend. Was sicher ist: Der Ausgang der Partie wird ihre Freundschaft nicht beeinf lussen. «Niemals. Wir bleiben Freunde», meint Piu. «Sicher. Für immer», meint Colacino. Das Band der Freundschaft ist superdick und wichtiger als jedes Fussballspiel.
Der Freiämter – Stefan Sprenger